Über den Monatswechsel März/April 2008 waren mein Augentrost und ich in Lissabon. Unser Hotel lag am Praque Marqes Pombal, also nicht sehr weit entfernt von der Innenstadt. Und wir hatten tolles Wetter – bis 27° !! Nein, nicht morgens 13° und nachmittags 14°. Echte und schöne 27° C mit blauem Himmel. Und zu Hause? Regen, Regen, nichts als Regen. Wir fühlten uns reich beschenkt.
Am 1. April fuhren mein Augentrost und ich morgens mit dem Bus zum Verkehrsamt, um dort eine Drei-Tages-Karte für die öffentlichen Verkehrsmittel zu erstehen. Als es dort ans Bezahlen ging, stellte mein Weib fest, dass man ihr das Portemonnaie aus der geschlossenen Handtasche gestohlen hatte. An der Handtasche selbst waren keine Spuren festzustellen, die Tasche war ordnungsmäßig verschlossen. Zum Glück ist nicht viel passiert, es waren an Bargeld „nur“ 100.- € in der gestohlenen Geldbörse. Dazu aber 2 Kreditkarten und eine Kopie des Personalausweises.
Wozu man 2 Kreditkarten bei sich führen muss, erschloss sich niemandem. Auf jeden Fall waren sie in fremde Hände geraten und es konnte weiterer Schaden entstehen. Den konnten wir mit Hilfe der Service-Telefonnummer in Deutschland und einer guten Freundin zu Hause verhindern. Viel schlimmer ist der Gemütszustand, in dem der/die Bestohlene zurückgelassen wird. Da hilft niemand. Im Nachhinein kann ich auch genau die Situation beschreiben, während der die Diebe (es waren drei männliche Personen mittleren Alters) im Bus zugeschlagen haben. Aber während des Diebstahls habe ich keinen Augenblick an so etwas gedacht und freundlich interessiert zugeschaut!
Es ist die alte Masche. Zwei Personen drängen sich an das Opfer heran, eine dritte Person greift von hinten zu – fertig. Danach steigen alle drei gelassen und in aller Seelenruhe wieder aus dem Bus. Auf jeden Fall brauchten wir uns keine Gedanken mehr über die Verwendung der 100.- € zu machen. Diese Sorge war uns genommen!
An diesem Tag fühlte ich drei Mal fremde Hände an und in meinen Hosentaschen! Ein Mal im Bus, einmal in der Alfama und einmal auf der Plattform eines der schönen alten Aufzüge. Während des Filmens mit meinem Camcorder fühlte ich, wie sich ein Mann in meiner unmittelbaren Nähe aufhielt. Jede Wendung meiner Schritte machte er mit. Beobachten konnte ich das aus den Augenwinkeln während des Filmens. Beim Hinabsteigen zur nächst tieferen Plattform wollte der Bursche zuschlagen und hatte seine Hand in meiner rechten Jackentasche. Ruckartig machte ich mich frei und musste mir einen Schwall wüster Beschimpfungen anhören, den ich zum Glück nicht verstanden habe. Ich hätte ihm eine „reinsemmeln“ sollen! Mein Bedarf war fürs erste gedeckt.
Am nächsten Tag stand der Besuch des Kastells an. Von dort hat man einen herrlichen Blick auf die schöne Stadt. In alle Himmelsrichtungen wurde gefilmt. An der Bushaltestelle liegen ein Souvenirladen und eine Gaststätte mit Außengastronomie. Dort ließen wir uns nieder.
Der Nebentisch war mit zwei Paaren besetzt, die sich in schönstem Wienerisch unterhielten. Gespannt lauschte ich den Tönen und fand es gleichzeitig schade, dass wir Kölner keine eigene Mundart haben! Da wurden wir plötzlich von den Wienern angesprochen! „Wo ist ihre Jacke?“ wurde ich gefragt. Lächelnd hob ich meine Jacke von meinen Knien und zeigte sie dem Frager. „Dann hat er etwas Anderes mitgenommen!“ hörte ich zu meiner Verblüffung. Wie „er“ und wieso „mitgenommen“? Hektisch ließ ich meine Blicke fliegen und stellte zu meiner allgemeinen Verwunderung fest, dass meine Kamera-Tasche mitsamt Inhalt verschwunden war. Sch***e!!!
Ich hörte noch, wie der freundliche Wiener „Der ist da rein“ sagte, und flog in die Eingangstür des Souvenirladens. Niemand drin, dafür ein zweiter Ausgang! Na klar! Als ich unschlüssig, wohin ich meine Schritte lenken sollte, den Laden verließ, flogen vier junge Männer an mir vorbei und verschwanden um die nächste Straßenecke. Ich hinter ihnen her und sah, wie sie auf einen südländisch aussehenden Mann einschlugen. Der ließ schnell meine Kamera-Tasche fallen und lief davon. Die vier jungen Männer kamen auf mich zu und übergaben mir freundlich lächelnd mein Eigentum.
Zurück am Tisch, wo mein Augenstern verdutzt saß und von allem nichts mitbekommen hatte, sah ich, dass die vier jungen Männer zum Lokal gehörten. Ich wollte mich erkenntlich zeigen, was von ihnen strikt abgelehnt wurde. Daraufhin fingen wir ein Gespräch mit „Wien“ an.
Die beiden Paare sind bereits um einiges, zum Beispiel Ausweise, Bargeld und ganze Taschen, erleichtert worden. Eine der Frauen sagte uns, dass sie als Sehhilfe nur noch eine Sonnenbrille habe, die sie Tag und Nacht tragen müsste, weil sie sonst hilflos sei. 100.- €, zwei Kreditkarten und eine wiedergefundene Kamera waren dagegen ein echter Glücksfall. Frohgemut nahmen wir den nächsten Bus zurück in die Stadt.
In einem schönen Außenrestaurant nahmen wir unser Nachtmahl ein. Die Kamera hütete ich wie einen Augapfel. Danach wurde es Zeit, um nach Hause (Hotel) zu fahren. An der Bushaltestelle mussten wir wieder etwas warten. Diese Zeit überbrückte ich damit, den Zauber des Abends mit der Kamera einzufangen. Dann kam der Bus.
Beim Einsteigen wieder dieses vermaledeite Drängeln. Schon halb im Bus, noch halb draußen, eingekeilt zwischen anderen Fahrgästen, fühlte ich plötzlich ein Zupfen von hinten. Im Bus stellte ich dann fest, dass meine Kamera-Tasche leer war.
Das muss mir
erst mal jemand nachmachen! Sich zweimal an einem Tag denselben
Gegenstand stehlen zu lassen, hat schon etwas! Natürlich wusste ich
auch hier hinterher, was ich hätte tun müssen, um den Diebstahl zu
verhindern. Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer.
Hatte ich bis dahin fast alle meine Gedanken darum kreisen lassen, wie ich den Lissabon-Film gestalten wollte, war ich plötzlich, von jetzt auf gleich, frei! Ich musste mir keinen Kopf mehr darüber machen, welche Schnitte ich anbringen, welche Musik ich unterlegen und welche Übergänge ich verwenden wollte. Ich konnte mich wieder den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zuwenden. Ich weiß zwar nicht, welche das sind, aber die eine Sorge war mir genommen.
An einem der darauffolgenden Tage sind wir mit der Fähre über den Tejo gefahren und machten uns auf den Weg zu „Christo Rei“, der übergroßen Christus-Statue auf der anderen Seite. Unnötig zu erwähnen, dass wir hier mit Glück einen weiteren Diebstahl verhindern konnten.
Was uns in Lissabon passiert ist, haben wir weder in London, Paris, Wien oder New York erlebt. Noch nie habe ich mich in einer Stadt auf Schritt und Tritt verfolgt gefühlt wie in Lissabon. Die insgesamt sieben Tage zogen sich elendig dahin und wir waren froh, als wir wieder zu Hause waren.
Lissabon macht frei – vor allem von dem Gedanken, noch einmal dorthin zu fahren.
(Alle Fotos vom Verfasser)
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